Am Samstag, 5. Juli 2025, lag in Hannover eine greifbare Spannung in der Luft. Es war nicht irgendein Tag. Es war Konzert-Tag. Es war das Konzert zum 60-jährigen Jubiläum der Scorpions, eine monumentale Heimkehr für Deutschlands größten Rock-Export. Die Heinz von Heiden Arena, normalerweise eine Fußballfestung, hatte sich in einen Tempel des Rocks verwandelt, bis auf den letzten der 45.000 Plätze gefüllt. Mit dabei einige enge „Friends“ der Rocker aus Niedersachsen, u.a. Alice Cooper und Judas Priest.
Eine Band schreibt Rockgeschichte – Die Scorpions seit 1965
Kaum eine Rockband kann auf eine so beeindruckende Karriere zurückblicken wie die Scorpions – und das nicht nur als deutsche, sondern weltweit als eine der einflussreichsten Rockbands überhaupt. 1965 von Rudolf Schenker in Hannover gegründet, spielte die Band anfangs noch in kleinen Clubs unter wechselnden Namen. Erst mit dem Einstieg von Klaus Meine Anfang der 70er nahm die Geschichte richtig Fahrt auf. Es war Meines markante Stimme – mal samtig, mal stählern –, die den Sound der Scorpions unverwechselbar machte. Mit Alben wie “In Trance” (1975), “Lovedrive” (1979) oder “Blackout” (1982) gelang der internationale Durchbruch – vor allem in den USA und Japan. In den 80er-Jahren füllten sie Arenen in aller Welt und waren regelmäßig in den US-Top-Ten vertreten.
Der wohl größte Gänsehautmoment der Bandgeschichte dürfte 1989 gewesen sein, als sie beim Moscow Music Peace Festival vor über 250.000 Fans auftraten – als erste westliche Rockband nach dem Kalten Krieg. Inspiriert von diesem Erlebnis schrieb Klaus Meine kurz darauf „Wind of Change“, das zur Hymne der Wiedervereinigung und des politischen Wandels wurde – und bis heute als eines der erfolgreichsten Rocklieder aller Zeiten gilt.
Trotz unzähliger Tourneen, Studioalben und einiger Besetzungswechsel blieb der Kern der Band über Jahrzehnte stabil: Klaus Meine (Gesang) und Rudolf Schenker (Rhythmusgitarre) sind nach wie vor das Herz der Band. 1978 stieß Matthias Jabs (Leadgitarre) dazu und komplettierte das berühmte Gitarren-Doppel. Heute sind die drei – alle zwischen 69 und 77 Jahre alt – echte Legenden, die es verstehen, ihre Leidenschaft in jeder Show aufs Neue zu entfachen.
Ergänzt wird das Trio durch zwei „jüngere Wilde“: Paweł Mąciwoda, seit 2003 am Bass, bringt polnische Power und musikalische Präzision ein. Und seit 2016 sitzt Mikkey Dee, einst Drummer von Motörhead, am Schlagzeug – ein echtes Energiebündel, das jedem Song einen kraftvollen Drive verleiht. Diese Mischung aus Erfahrung und Energie funktioniert live hervorragend – man spürt den Respekt füreinander, das Zusammenspiel ist perfekt aufeinander abgestimmt.
Trotz Abschiedstouren und Ruhestandsgerüchten in der Vergangenheit sind die Scorpions auch 2025 noch aktiv, kreativ und voller Spielfreude. Mit dem 2022er-Album “Rock Believer” knüpften sie an alte Stärken an und bewiesen, dass sie nichts von ihrer Relevanz eingebüßt haben – weder musikalisch noch als Live-Act. Und bei allem internationalen Erfolg: Ihre tiefe Verbundenheit zu Hannover ist geblieben. Ob Studioarbeit, Albumtitel oder Heimspiel – „Coming Home“ ist bei ihnen eben nicht nur ein Songtitel, sondern gelebte Wahrheit.
Das Warm-up: Rosy Vista und Bülent Ceylan – Der perfekte Start in die Rock-Party
Schon um 15 Uhr ging die Party los, als die Tore aufgingen. Ein echtes Festival! Um 15:30 Uhr legten Rosy Vista aus Hannover los, eine geile deutsche Frauen-Hardrock-Band, die seit 1983 dabei ist und uns mit ihrem melodischen Sound perfekt eingeheizt hat. Danach, um 16:10 Uhr, kam die Überraschung des Tages: Bülent Ceylan! Ja, unser Comedy-Star kann nicht nur lustig sein, sondern auch richtig abrocken. Er hat schon beim Wacken Open Air gespielt und sein Programm „Haardrock“ genannt – ein echter Metal-Fan, der die Menge super angeheizt hat!


Fotos (C)Dennis Hahn / BerlinMagazine.de
Alice Cooper: Schockrock meets Theater
Weiter ging es um 17:35 Uhr mit dem King of Schock-Rock – Alice Cooper. Der 77-Jährige lieferte eine 15 Songs lange Performance voller Theatralik und Grusel-Inszenierungen. Von Anfang an glänzte er mit Klassikern wie “No More Mr. Nice Guy” und “Poison”, die er gewohnt durch Mark und Bein gehen ließ. Sein Hit “School’s Out” durfte dabei natürlich nicht fehlen. Zwischen den Songs zelebrierte er seine berühmten Schockeffekte: Bei der Ballade “Ballad of Dwight Fry” steckte er sich in eine Zwangsjacke und inszenierte – wie in seinen Shows seit den 70ern – eine Guillotine-Szene. Es war ein urkomisch-schreckenserregender Moment, der das Publikum zum Toben brachte. In der Zugabe gab es schließlich “Feed My Frankenstein” mit dem ohnehin schon monströsen Band-Sound. Gitarristen Ryan Roxie, Tommy Henriksen und Nita Strauss, Bassist Chuck Garric und Schlagzeuger Glen Sobel lieferten dazu fein säuberlich alte Schule ab – Alice’ Live-Band wirkt, als sei sie direkt aus den 70ern auf die Bühne gesprungen. Am Ende bedankte er sich in bester Horror-Manier: „I hope all your nightmares come true!“ – ein Scherz, der bei uns aber nur für Gelächter und Jubel sorgte.






Fotos (C)Dennis Hahn / BerlinMagazine.de
Judas Priest: Die Metal-Götter heizen ein
Um 19:15 Uhr erklangen die ersten Takte von Judas Priest. Die Briten um Ausnahmesänger Rob Halford (der 2003 nach über einem Jahrzehnt wieder zu den Priest zurückgekehrt war) galten als ideale zweite Aufwärm-Station. Und sie brannten ein wahres Metal-Feuerwerk ab. Gleich zu Beginn stürmte das Intro von „War Pigs“ (Black Sabbath-Cover) heraus, gefolgt von mächtigen “All Guns Blazing”. Klassiker wie “Breaking the Law” und das brachiale “Painkiller” schmetterten aus allen Boxen. Und sie waren verdammt laut! In ihrer Geschichte gilt die Band als „Wegbereiter des Heavy Metal“, und das merkte man – die Gitarrenwände dröhnten, und Rob Halford schrie wie in den 80ern „Rock, reign oooon!“. Insgesamt standen 12 Songs im Set, darunter Hymnen wie “Living After Midnight” und “Painkiller”. Nach Rosy Vista, Bülent Ceylan und Alice Cooper heizten Judas Priest der ausverkaufen Arena ordentlich ein – und 45.000 Leute waren spätestens jetzt auf 180 und heiß auf die Scorpions!





Fotos (C)Dennis Hahn / BerlinMagazine.de
Scorpions – Unsere Rock-Legende
Dann war es soweit: Die Scorpions betraten endlich gegen 21:50 Uhr die Bühne. Diese Band aus Hannover prägt seit 60 Jahren die Rockgeschichte. Gegründet 1965 von Rudolf Schenker (76) als Nameless in Sarstedt, gehört sie heute neben Gründer und Gitarrist Schenker auch Sänger Klaus Meine (77), Gitarrist Matthias Jabs (ebenfalls aus Hannover) sowie Bassist Paweł Mąciwoda und Drummer Mikkey Dee (ehemals Motörhead) zur Besetzung. Mit über 120 Millionen verkauften Tonträgern sind die Scorpions eine der erfolgreichsten Rockbands der Welt. Welchen Stellenwert Hits wie “Rock You Like a Hurricane”, “Still Loving You”, “Send Me an Angel” oder “Wind of Change” haben, merkt man an jedem einzelnen Spielmoment. Letzterer wurde 1989 von Klaus Meine als Hymne auf den Mauerfall geschrieben – er pfiff sogar das legendäre Intro einfach ins Handy, als er nach dem Auftritt vor 250.000 Fans in Moskau auf der Moskwa schipperte.
Die aktuelle Besetzung ist der Wahnsinn: Rudolf Schenker (76), Klaus Meine (77), Matthias Jabs (der „Junge“ mit 69). Und die beiden „jungen Wilden“ Paweł Mąciwoda am Bass und Mikkey Dee an den Drums. Klar, Klaus Meine sprintet nicht mehr über den Steg, aber seine Stimme ist immer noch kraftvoll und voller Emotionen. Rudolf Schenker, die treibende Kraft, rennt, springt und haut seine Windmill-Akkorde raus, als gäbe es kein Morgen! Matthias Jabs liefert immer noch seine mitreißenden Soli, die ihren Sound so einzigartig machen. Und Paweł und Mikkey, die Jüngeren, sind eine grundsolide Rhythmusgruppe, die die Band fest im Griff hat. Ihre „Rock-Moves“ – Schulter an Schulter, Arme in die Luft – das sind einfach klassische Rockstars, und das ist gut so!



Passend zum Konzerttitel „Coming Home“ läutete das Quintett die Show mit dem Titeltrack „Coming Home“ ein. Schon bei diesem ersten Song flog uns die Pyrotechnik um die Ohren, und die gigantische Lichtshow setzte ein – schließlich war es inzwischen richtig dunkel. Danach folgte eine Zeitreise durch sieben Dekaden Scorpions-History. Die Setlist im Detail:
- Coming Home – Der Show-Opener und Namensgeber der Tour mit donnerndem Intro und dicker Pyro-Show.
- Gas in the Tank – Ein aktueller Rock-Kracher vom neuen Album, der zeigt, dass sie auch heute noch tolle Songs produzieren können
- Make It Real – Ebenfalls neueren Datums, mit fetten Gitarrenriffs und Mitsing-Teil im Refrain.
- The Zoo – Ein starker Slowrock-Klassiker aus den 80ern, perfekt zum Mitbrüllen. Die Arena bebte schon jetzt beim epischen Refrain.
- Coast to Coast – Ein schnelles Riff-Stück aus der Frühzeit, hier entlud sich die Energie der älteren Fans in lauten Fangesängen.
- Top of the Bill / Steamrock Fever / Speedy’s Coming / Catch Your Train – Medley der ganz frühen Jahre (allesamt aus den späten 70ern). Ein nostalgisches Highlight, bei dem die „Ur-Rockfans“ der Scorpions in Jubel ausbrachen.
- Bad Boys Running Wild – Stadion-Rock pur: treibender Groove, feuriges Gitarrensolo von Schenker und Jabs und lodernde Flammen-Show. Klassiker mit dem typischen Jabs-Riff, der alle mitsingen ließ.
- Delicate Dance – Ruhiges Instrumental („Moment der Ruhe“), in dem vorübergehend Licht und Laser ganz allein wirbelten. So schöpften wir Atem, bevor es im zweiten Setpart weiter ging.
- Send Me an Angel – Emotionaler Höhepunkt, eine der größten Scorpions-Balladen. 45.000 Kehlen im Chor – ein Gänsehaut-Moment. (Hier leuchteten synchron gesteuerte LED-Armbänder Xylobands auf – ein spektakulärer Effekt.)
- Wind of Change – Die wohl bekannteste Hymne: Mehr als ein Pop-Schlager, quasi der Soundtrack zum Mauerfall. Beim berühmten Pfeif-Part leuchteten alle Xylobands in Blau-Weiß, sodass das Stadion in Farben erstrahlte. So ein emotionales Mitklatschen hat man selten erlebt.
- Loving You Sunday Morning – Ein thrashiger Uptempo-Song zum Wachwerden, er brachte das Tempo zurück nach den Balladen.
- I’m Leaving You – Neu bei jedem Scorpions-Set: Ein Song vom letzten Album, den Klaus Meine geradezu sehnsuchtsvoll intonierte (Lyrics über das „Abschiednehmen“, was für Gänsehaut sorgte).
- Bass- & Drum-Solo – Wie bei jedem klassischen Rockkonzert durften erst Bassist Paweł Mąciwoda und dann Drummer Mikkey Dee ihren „Schau-Moment“ haben. Beide bewiesen Können und Rhythmusgefühl, bevor es noch einmal richtig losging.
- Tease Me, Please Me – Zurück in die 80er: Dieser kernige Rocker sorgte für ausgelassene Stadion-Party-Stimmung.
- Big City Nights – Ein weiterer Scorpions-Ohrwurm mit Mitsing-Alarm – das perfekte Stadion-Rock’n’Roll-Feeling.
- Blackout – Härtere Gangart vor dem Finale: Donnernde Drums und erdige Gitarren sorgten nochmal für einen Adrenalinkick, während Flammen und Funken stiegen.
- Rock You Like a Hurricane – Der legendäre Titeltrack als großer Schlusspunkt. Alles wurde noch einmal aufgedreht: Blitzlichtgewitter, ein weiß-rotes Pyro-Feuerwerk am gesamten Stadiondach und das wuchtige 5-Ton-Riff ließen keinen Zweifel, dass wir gerade Zeugen eines Rock-Mega-Events werden.


Fotos (C)Dennis Hahn / BerlinMagazine.de
Zwischen den Songs bedankte sich Klaus Meine mehrfach bei den treuen Fans: Ohne uns wäre die Band heute nicht dort, wo sie ist. Die klassische Geste der Hand über dem Herzen und ein einfaches „Danke!“ passte perfekt zu dieser familiären Feier. Insgesamt war es der Rock’n’Roll-Abend, von dem man als Fan immer träumt: eine perfekte Mischung aus Nostalgie und aktueller Energie, aus bombastischer Show und herzlichen Momenten.
Am Ende – nach “Blackout” und “Rock You Like a Hurricane” – war klar: Die Scorpions stehen trotz ihres Alters (Meine 77, Schenker 76, Jabs ebenfalls um die 70) noch immer an der Spitze der Rockwelt. Dieser Abend war die angemessene Party für 60 Jahre deutschen Hardrock-Exportschlagers. Man vergleiche: Letzte Woche noch AC/DC im Berliner Olympiastadion, vor kurzem Bruce Springsteen – und was zeigte sich? Unsere Scorpions gehören in diese Reihe ganz eindeutig mit hinein.
Und an diesem Abend wurde auch einfach alles aufgeboten, was ein große Classic Rock-Show ausmacht: Erstklassiker Sound, viele Hits und auch Mitsing-Songs, eine riesige Bühne mit überragender Lichtshow (auch noch ergännzt durch die 45.000 „Leuchtarmbänder“), viel Pyro und Feuer, was beim großen Finale mit „Rock You Like a Hurricane” dann komplett eskalierte, also sogar auf dem Stadiondach Pyro in den Himmel von Hannover gefeuert wurde.




Fotos (C)Dennis Hahn / BerlinMagazine.de
Es war ein ausgelassener Sommernachts-Rausch, ein „amtliches Festival“, wie Klaus Meine es angekündigt hatte. Und es macht stolz, als deutscher Rockfan diese Band in dieser Form zu erleben. Hoffentlich bleibt ihnen noch ein bisschen Zeit – damit auch die nachfolgende Generation die Chance hat, diesen Spirit live zu spüren. Bis dahin gilt: Go and see them while you can – die Scorpions on tour sind auch 2025 definitiv ein Muss für alle Rockfans!
Alle Setlists des Tages im Überblick: